Du musst kämpfen Johnny!

> Martin Heimes

Jonathan Heimes war ein ganz normaler Junge, er hatte allerdings ein großes Talent: Er war sehr sportlich. Er konnte in fast allen Sportarten – außer im Synchronschwimmen vielleicht – immer super mithalten. 

Jonathan hatte sehr viel Spaß am Tennis spielen und war ziemlich schnell erfolgreich: Er wurde mehrfach Kreismeister, Bezirksmeister, mit der hessischen Mannschaft DTB-Talentcupsieger von Deutschland und mit 12 Jahren in seiner Altersklasse Einzelsieger bei den Hessischen Tennismeisterschaften.

Mit 14 Jahren, kurz bevor er mit zu den Weltschülerspielen 2004 nach Cleveland fahren sollte, wurde bei Jonathan leider ein Gehirntumor (Medulloblastom) diagnostiziert, der umgehend entfernt werden musste. Nach zwei Operationen, über 30 Bestrahlungen, vielen Chemotherapien und Reha-Maßnahmen kämpfte Jonathan sich leidenschaftlich zurück ins Leben. Er musste wieder essen und trinken, sprechen und gehen lernen. Jonathan konnte auch wieder die Schule besuchen und Sport betreiben, allerdings nicht mehr auf dem hohen Niveau wie vor seiner Erkrankung. Wichtig war für Jonathan hierbei immer, die neue Situation – vom Leistungssportler zum Schwerstkranken – anzunehmen und nicht den „schönen alten Zeiten“ hinterher zu trauern, sondern positiv nach vorne zu schauen.

„4:6, 4:5, 15:40 – zwei Matchbälle gegen dich. DU MUSST KÄMPFEN! Es ist noch nichts verloren.“ Diese Nachricht erhielt Jonathan „Johnny“ Heimes von seinem Tennisfreund Johann von Keussler per SMS im August 2010 auf sein Handy. Kurz zuvor hatte er die Diagnose bekommen, dass sechs Jahre nach seiner ersten Operation in seiner Wirbelsäule Metastasen aufgetreten waren, die in einer weiteren komplizierten Operation teilweise entfernt werden mussten. Nach der Operation spürte Jonathan allerdings seine Beine nicht mehr und saß seitdem im Rollstuhl.

Jonathan nahm auch diese Situation an und kämpfte jetzt für seinen Traum, irgendwann wieder alleine laufen zu können. Nebenbei schrieb er mit Hilfe von Michael Eder (FAZ-Sportjournalist und der Vater von Jonathans bestem Freund Niki) ein Buch: „Comebacks – Meine Leben“.

Im Dezember 2012 wurde das Buch im Clubhaus , seines Tennisvereins TEC Darmstadt vorgestellt. Neben vielen Zuhörern war auch Tennisprofi Andrea Petkovic, die das Vorwort geschrieben hatte, und die lokale Presse mit dabei. Es war ein Abend, an dem viel gelacht, aber auch geweint wurde und der für die Besucher sehr inspirierend war und unvergessen blieb. Jonathan wollte jetzt wieder „tumorfrei“ positiv in die Zukunft schauen. Dazu meinte er: „Wenn auf einer Skala von 1 bis 10 das Leben die ‚1‘ und der Tod die ‚10‘ ist, dann bin ich in den letzten Jahren schon öfter mal bei ‚9‘ gewesen.“

Nach dem Bericht über die Veranstaltung in der Zeitung „DARMSTÄDTER ECHO“ bekam Jonathan gleich einige Anfragen von Fernseh- und Radiosendern und weiteren Pressevertretern. In einem der Interviews sagte Jonathan: „Wenn du eine schwere Krankheit hast, dann kannst du dich verstecken, in die Ecke gehen und heulen, aber es bringt nichts. Oder du kannst aufstehen und es wenigstens versuchen, was zu machen und was zu verbessern.“

Da Johnny, wie er inzwischen von allen genannt wurde, krankheitsbedingt keine Berufsausbildung oder ein Studium beginnen konnte, setzte er sich eine neue Aufgabe: Er wollte möglichst viele Spendengelder sammeln und damit die Lebensbedingungen und die Situation der Kinder und deren Familien auf der Kinderkrebsstation der Uniklinik Frankfurt, auf der er selber jahrelang behandelt worden war, verbessern. Bei einer Diskussion mit der Familie und ein paar Freunden, wie man am besten Spendengelder generieren könnte, kam die Idee auf, Silikonbändchen herzustellen und einen motivierenden Slogan auf diesen Bändchen einprägen zu lassen. Als Slogan wurde der letzte Teil der SMS gewählt, der auch bereits zu Jonathans Lebensmotto geworden war: „DU MUSST KÄMPFEN! Es ist noch nichts verloren.“ 

Leider wurden in den nächsten Monaten und Jahren immer wieder Metastasen in Jonathans Kopf gefunden und mit neuen Chemotherapien, Bestrahlungen und auch mit einer hochdosierten Stammzellentherapie behandelt. Doch Jonathan setzte sich trotz der vielen Herausforderungen weiter leidenschaftlich für andere ein.

Ein Höhepunkt in dieser Zeit war für den leidenschaftlichen Fan vom SV Darmstadt 98 definitiv das Rückspiel in der Relegation zum Aufstieg in die zweite Bundesliga in Bielefeld. Für seine Darmstädter Jungs hatte Jonathan eine Sonderedition der Bändchen anfertigen lassen: in den Vereinsfarben blau und weiß und mit dem Vereinssymbol, eine Lilie, darauf Als Darmstadt das Hinspiel zu Hause 1:3 verlor und die Lage ziemlich aussichtslos war, hatte der Darmstädter Trainer Dirk Schuster eine Idee: Zwei Tage vor dem Rückspiel rief Co-Trainer Sascha Franz bei Jonathan an und fragte, ob er 50 „Lilienbändchen“ bekommen könnte. Dirk Schuster hatte das Rückspiel nämlich unter Jonathans Motto „ Du musst kämpfen! Es ist noch nichts verloren.“ gestellt. In der Kabinenansprache vor dem Spiel erzählte Dirk Schuster seinen Spielern noch einmal die Geschichte von Jonathan, der jeden Tag 24 Stunden um sein Leben kämpfen muss. Hieran sollten sich die Spieler ein Beispiel nehmen und an diesem Abend wenigstens 90 – vielleicht auch 120 – Minuten kämpfen, um das Unmögliche zu schaffen und doch noch in die 2. Bundesliga aufzusteigen. Als Motivations-Symbol trugen alle Darmstädter Spieler während des Spiels ein Lilien-Bändchen. Und das unglaubliche „Wunder von Bielefeld“ geschah tatsächlich:

Darmstadt gewann in der Verlängerung mit 4:2 und stieg in die 2. Bundesliga auf. Jonathan war jetzt der Glücksbringer des SV Darmstadt 98 und durfte bei der Aufstiegsfeier mit den Spielern und Betreuern mit auf die Bühne. Ein Jahr später stieg Darmstadt gleich nochmal auf, jetzt in die 1. Bundesliga! Bei der erneuten Aufstiegsfeier durfte Jonathan wieder mit auf die Bühne und Kapitän Aytac Sulu stimmte mit 15.000 Fans ein Lied an: „Ohne Johnny wären wir gar nicht hier“. Das waren sehr schöne, bewegende und emotionale Momente für alle, die dabei waren und natürlich besonders für Jonathan.

Nachdem die Bändchen von da an fast ein Selbstläufer waren, hatte Jonathan schon neue Ideen, um noch mehr Spendengelder zu sammeln. Er wollte Charity-Sportevents veranstalten, bei denen Profis und Amateure für eine große Spende miteinander spielen und am Abend zusammen feiern. Die erste Veranstaltung sollte ein Tennis-Turnier sein, natürlich beim TEC Darmstadt und natürlich auch mit Andrea Petkovic. Da eine solch große Veranstaltung im Alleingang schwer zu meistern war, gründete Jonathan im Februar 2015 mit sechs Freunden die gemeinnützige DUMUSSTKÄMPFEN! GmbH. Gleich die erste Veranstaltung war ein voller Erfolg, bei dem ein großer Spendenbetrag für die Kinderkrebsstation zusammen kam.

Als im Herbst 2015 wieder neue Metastasen in Jonathans Kopf gefunden wurden und alle Standardtherapien zur Behandlung ausgeschöpft waren, wurde Jonathan nach und nach immer schwächer und konnte kaum noch etwas essen und trinken. Ab Dezember 2015 wurde er zu Hause durch das KinderPalliativTeamSüdhessen medizinisch versorgt und gepflegt und ist am 8. März 2016 friedlich daheim in seinem Bett eingeschlafen. Nach Jonathans Tod reagierten sehr viele Menschen mit berührender Wertschätzung für ihn – allein auf seiner Facebook-Seite wurden 5000 liebevolle Kommentare unter die Nachricht von seinem Tod gepostet.

Neben dem großen Zuspruch gab es viele weitere Aktionen, um unsere Initiative weiter zu unterstützen und Jonathans Engagement nicht in Vergessenheit geraten zu lassen: So verzichtete z.B. der Namensrechte-Inhaber des Darmstädter Stadions, die Firma MERCK, ein Jahr auf ihre Rechte und es wurde in „Jonathan-Heimes-Stadion“ umbenannt. Der Stadionsprecher sagte beim Spiel Darmstadt gegen Augsburg dazu: „Wir sind dankbar dafür, ein Teil Deiner Geschichte zu sein Johnny. Du wirst immer ein Teil unserer Geschichte bleiben.“ Die Süd-Tribüne im Darmstädter Stadion heißt bis heute „Jonathan-Heimes-Tribüne“. 

Jonathan hat in seinem Leben, das zwar relativ kurz, aber dafür auch sehr intensiv, abwechslungsreich und erfüllt war, viele interessante bekannte Sportler und Persönlichkeiten kennengelernt, die er ohne seine Krankheit wahrscheinlich niemals getroffen hätte. Er hat durch seinen Umgang mit dieser Krankheit vielen Leuten Mut, Kraft und Inspiration gegeben, ihr Leben positiver zu sehen und mit ihrem Schicksal besser zurechtzukommen. 

Jonathan und die Initiative „DUMUSSTKÄMPFEN!“ haben durch die Abgabe der Bändchen, Veranstaltungen und Aktionen seit 2013 bis heute schon über 1,5 Millionen an Spendengeldern eingesammelt. Der größte Teil dieser Gelder geht an zwei Projekte, die zurzeit noch nicht von den Krankenkassen finanziert werden: 

Die supportive Sporttherapie

Hierdurch können Kinder und Jugendliche während ihres Aufenthalts auf der Kinderkrebsstation (z.B. für eine mehrwöchige Chemotherapie) an der Frankfurter Uniklinik jeden Tag Sport treiben, wenn sie fit genug sind und dazu Lust haben. Seit einiger Zeit gibt es dafür einen eigenen Sportraum. Betreut werden die Kinder von zwei Sportwissenschaftlerinnen. Es hat sich gezeigt, dass diese Kinder früher wieder entlassen werden und auch schneller wieder zur Schule gehen können. 

Eine psychosoziale Betreuungsstelle für das KinderPalliativTeam Südhessen

Das KinderPalliativTeam Südhessen, das auch Jonathan bis zu seinem Tod betreut hat, kommt immer mit einem Arzt oder einer Ärztin und einer Krankenkraft zu den betroffenen Familien nach Hause. Die Kosten hierfür werden auch von den Krankenkassen übernommen. Da neben der reinen medizinischen Betreuung des kranken Kindes aber auch oft noch viele andere Fragen der Eltern (z.B.: Wie fülle ich einen neuen Pflegestufenantrag oder gar einen Harz4-Antrag aus?) oder der Geschwisterkinder (Probleme in der Schule, eigene Ängste, über die man nicht mit den Eltern sprechen möchte) auftreten, hat das KinderPalliativTeam Südhessen seit ein paar Jahren eine von den Spendengeldern finanzierte Stelle für eine psychosoziale Betreuerin geschaffen, die u.a. solche Fragen beantwortet und so eine große Entlastung für das medizinische Team und eine große Hilfe für die Familienmitglieder ist. 

www.dumusstkaempfen.de

Alles Liebe 

Über Martin Heimes

Jonathans Vater

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